2024, Thomas Mießgang
Malerei als Kontinuum
Die Kunst von Sabine Aichhorn im Spannungsfeld von Raum und Zeit
Wenn man die Bilder von Sabine Aichhorn betrachtet, könnte auf der obersten Wahrnehmungsebene der Eindruck des Seriellen entstehen: Es gibt ein Reservoir an geometrischen Figuren, häufig Dreiecken, die den quadratisch organisierten Bildraum zerteilen und sich ineinanderschieben oder übereinanderschichten. Die Farbpalette changiert zwischen unterschiedlichen Blautönen, – Indigo, Kobalt und Türkis – Abstufungen von Rot bis hin zu Orange, schlierigen Braunnuancen und gelegentlichen Gelb-Akzenten. Einschlüsse von Weiß und Schwarz wirken als Kontrastfolie und erzeugen gestalterische Reibungshitze. So wird die Impression von Ähnlichkeit erzeugt, die jedoch bei genauerem Hinsehen fast bis ins Unendliche auszufaltende Möglichkeiten der variativen Diversifikation bietet. Same Same but different – häufig als Chiaroscuro der Farben und Formen inszeniert.
Es verhält sich bei der Malerei von Sabine Aichhorn ein wenig so wie bei der berühmten Minimal-Komposition „In C“ von Terry Riley: Dort sind 53 gleichbleibende Soundpatterns festgelegt, die aber unter Verwendung unterschiedlicher Instrumente und variabler Ensemblegrößen auf immer wieder neue, ständig permutierende Weise miteinander verknüpft werden können. Auf diese Weise entsteht eine Textur, die sich in der identen Wiederholung von Klangzellen zu genügen scheint und sich doch ständig verwandelt. In Anlehnung an die Aussage „Music is a continuum” von Terry Riley könnte man somit im Hinblick auf die Kunst von Sabine Aichhorn sagen:
„Painting is a continuum.“
Denn wenn auch – quod erat demonstrandum – Serialität im Sinne Warhols nicht gegeben sein mag, so ist doch eine ´konzeptuelle Kontinuität ` (Frank Zappa) festzustellen, die einen ästhetischen Zusammenhang der Werke herstellt. Man könnte von Pattern Recognition in dem Sinne sprechen, dass in einer Menge von Daten Regelmäßigkeiten, Wiederholungen, Ähnlichkeiten oder Gesetzmäßigkeiten zu erkennen sind.
Kohärenz ergibt sich auch daraus, dass die Künstlerin immer an mehreren Werken gleichzeitig arbeitet und auf diese Weise die durch Trocknungsprozesse erzwungenen Pausen kompensieren kann. „Das kommt vom Film, mit dem ich früher gearbeitet habe.“ erläutert Sabine Aichhorn. „Denn eine Bewegung im Film entsteht auch aus mehreren Bildern. Bild an Bild an Bild. Und es geht nicht, dass ich eines nach dem anderen male. Sondern meist fünf oder mehr gleichzeitig.“
Dies hat zur Folge, dass die Konzeption von Einzelarbeiten immer im Rahmen von Ensembles zu denken ist, auch wenn diese nach Fertigstellung der Arbeiten wieder auseinanderdividiert werden können.
Die Malerei von Sabine Aichhorn ist somit eine Ästhetik der Überlagerungen, bei der das Simultane und das Sequentielle häufig ineinander stürzen: Der Raum wird in die Zeitlichkeit eines überlappenden Herstellungsprozesses überführt, die Zeit wiederum in der Verräumlichung des immobilen Bildinhaltes stillgestellt. Man könnte den vom US-amerikanischen Dichter Paul Haines entlehnten Begriff ´Chronotransduktion` anwenden, um das elaborierte Spiel mit dem Raum-Zeit-Kontinuum im Werk von Sabine Aichhorn terminologisch zu fassen.
Dazu trägt auch die von der Künstlerin favorisierte Palimpseststruktur ihrer Arbeit bei: Die Werke sind aus zahlreichen Schichten komponiert, die ihrerseits wiederum gefrorene Zeit manifestieren. „Manchmal komme ich mit drei aus, manchmal sind es
20. Das ist von Bild zu Bild unterschiedlich.“ Ein Misslingen werde durch diesen Produktionsprozess jedenfalls vereitelt: „Ich male, Schicht für Schicht so lange weiter, bis das Resultat für mich Sinn ergibt.“ Und an diesem Point Final des gestalterischen Prozesses fällt auch erst die Entscheidung, wie das quadratische Bild gehängt oder gestellt wird, um dem Betrachter die von der Künstlerin gewünschte Anordnung der geometrischen Körper auf der Leinwand anzubieten: „Ich kann eine Arbeit während der Komposition in alle Richtungen drehen. Wenn ich aber sage: Es ist fertig, dann ist es aus dieser einen Sicht, die ich bestimme, anzusehen.“
In diesem Zusammenhang muss auch die Polaroid-Fotografie ins Spiel gebracht werden, die Sabine Aichhorn im Übergang vom Film zur Malerei verwendet hat, um Veränderungen eines Bildes durch den chemischen Entwicklungsprozess zu dokumentieren. „Wenn das Foto aus der Kamera herauskommt“, sagt die Künstlerin,
„dann sieht man zuerst eine blaue Fläche. Und auf dieser Fläche entsteht nach und nach ein Bild.“ Diesen Vorgang habe sie abgefilmt und auf diese Weise eine Sequenz von visuellen Konfigurationen geschaffen, die sehr inspirierend für die eigene Arbeit waren. Wiederum ist also die Zweckentfremdung eines technischen Prozesses Ausgangspunkt einer künstlerischen Transformation. Aus dem Foto wird eine Malerei, die dessen Farbpalette gewinnbringend zu nutzen versteht: Sepiatöne, ein cremiges Weiß, einen Hauch von Purpur. „Das ist auch die Ekstase des Polaroid“, hat Jean Baudrillard 1987 geschrieben, „fast gleichzeitig den Gegenstand und sein Bild zu erhalten, /…/ die optische Materialisierung eines magischen Prozesses. Das Polaroid ist wie ein vom realen Gegenstand abgefallener Film.“
Wenn man die Arbeiten von Sabine Aichhorn einordnen möchte, so sind sie im weitesten Sinne der Geometrischen Abstraktion zuzurechnen. Und zwar in dem Sinne, dass klar erkennbare Linien und die Aufteilung des Bildraumes in Einzelflächen die zentralen Gestaltungsprinzipien sind. Eine klassische Definition dieser künstlerischen Stilrichtung lautet: „Das Bild verzichtet vollständig auf gegenständliche Inhalte. Im Vordergrund steht das Zusammenspiel von Farben und Formen.“ Wobei die Formulierung in dieser Rigidität allerdings ein wenig an den ästhetischen Absichten von der Künstlerin vorbeizielt – was noch genauer auszuführen sein wird.
Sabine Aichhorn betont darüber hinaus, dass sie sich nicht als Adeptin von Josef Albers, Theo van Doesburg, Sonia Delaunay-Terk, Hilma af Klint und anderen berühmten Vertretern der geometrischen Malerei sieht: „Ich schaue mir nicht die Arbeiten anderer Leute an und referenziere dann darauf, sondern das kommt aus mir selbst, aus meinem Inneren.“ Geometrie habe sie immer schon interessiert; gerade, klare Linien würden ihr Halt und Orientierung geben: „So ergibt sich Struktur, wobei ich vermeide, dass daraus ein geschlossenes System wird.“ Was vielleicht auch erklären mag, dass sie die harmonische Rundform des Kreises als unergiebig für ihre Arbeit betrachtet, weil die Wiederkehr des Immergleichen im closed circuit ihrer Vorstellung von einer Kunst der Disruption und der Kontrastwirkungen nicht entspricht.
Man muss den Weg, der die Künstlerin zu ihrer Version des geometrischen Arbeitens geführt hat, kurz skizzieren, um die Entfaltungskraft, die ihrer Arbeit inhärent ist, identifizieren zu können: In einer früheren Schaffensphase, die in den Nullerjahren konzipiert und abgeschlossen wurde, baute sie die Skyline von Downtown LA als kulissenhafte Installation aus Filmstreifen nach (vgl. dazu auch den Essay „Sabine Aichhorn und das Expanded Cinema“ von Günther Holler-Schuster in dem Band: Sabine Aichhorn, Graz 2009) und faltete diese Versuchsanordnung als referentielles System in verschiedene Richtungen weiter aus, so dass schließlich die Werke „Los Angeles“, „Ein_Super8 Filmteppich“, „Filmpalme“ und „Filmschmuck“ entstanden. Das Zelluloid diente in diesem Fall nicht als Trägersubstanz zur Inauguration der Illusionsmaschine / Traumfabrik in der Kinoerzählung, sondern buchstäblich als Material zur Bekleidung von maßstabgetreu nachgebauten Hochhaussilhouetten aus opakem Plexiglas, die seit Jahrzehnten als Emblem der Filmmetropole L.A. allgemein bekannt sind. Dass Bewegtbilderzählungen, die in diesem Fall nicht zu sehen sind, sondern nur evoziert werden können, dabei als ästhetischer Subtext im Hintergrund mitschwingen, trägt zum Reiz der Sache bei. Im Umkehrschluss gibt es in der geometrischen Malerei von Sabine Aichhorn, die nach dem Abschluss des Los Angeles-Projekts, das dem Expanded Cinema zuzurechnen ist, als neue Produktionsphase initiiert wurde, eine kinematographische Dimension: Die abstrakten Körper wirken manchmal wie Theaterprospekte oder Filmkulissen, bei denen sich die Elemente auf bizarre Weise ineinander verkeilen und Fragmente von Narrativen zu enthalten scheinen. Man kann sich die metaphysischen Szenarien von de Chirico oder die basalen, geometrisch stilisierten Naturlandschaften von Hubert Schmalix imaginieren, die einfach drei Umdrehungen weiter in Richtung Abstraktion bewegt werden. Dass es in den Werken von Sabine Aichhorn diese unterschwellige
´Plotstruktur` gibt, hat mit ihrem Produktionsprozess ab origine zu tun. Im Übergang
vom Film respektive der kinematographischen Deutung urbaner Landschaften über die Polaroid-Fotografie zur Malerei war die Architektur ein zentraler Fokus in der Arbeit: Während, so die Künstlerin, die Kleidung die zweite Haut des Menschen sei, könne man die Architektur als dritte Haut bezeichnen, die Schutz spende: „Man kann sich damit einen eigenen Kosmos schaffen, der dann auch das Zuhause ist. Das Hängen der Malerei für eine Ausstellung ist für mich derselbe Vorgang wie das Malen selbst.“
In der Zeit der künstlerischen Neuorientierung zog Sabine Aichhorn mit der Kamera durch verschiedene Städte, um eine psychogeographische Vermessung des bebauten Environments vorzunehmen. Man könnte von einer situationistischen Dérive sprechen: Einem ungeplanten Umherschweifen an einem Ort, um ihn in der Tiefe zu erkunden – verstanden als Netzwerk von Erfahrungen und Erlebnissen. Dérive bedeutet, sich aus der alltäglichen Routine hinauszukatapultieren, den eigenen Emotionen zu folgen und städtische Situationen aus einem radikal neuen Blickwinkel zu betrachten. Was für die Künstlerin natürlich auch die Konsequenz hatte, die eigene Ästhetik neu und anders zu kalibrieren. Anfänglich waren Architekturskizzen der Ausgangspunkt, die dann abstrahiert und malerisch umgesetzt wurden. Dies sei heute aber überhaupt nicht mehr der Fall, betont die Künstlerin:
„Das Malerkrepp hat den Zeichenstift ersetzt. Ich gehe zur Leinwand, fange an, Linien abzukleben und schaue, wie ich sie in interessante Flächen unterteilen kann. Am Anfang habe ich keine Ahnung, was daraus werden wird. Es gibt keine geplanten Motive. Die Motive entstehen während des Arbeitsprozesses.“
In diesem Sinne könnte man die Vorstellung von Expanded Cinema, wie sie für die L.A.-Werkgruppe von Sabine Aichhorn determinierend war, in einem metaphorischen Sinne auch für die aktuellen geometrischen Arbeiten zur Anwendung bringen: Expanded Cinema sei nämlich nicht der Name für eine bestimmte Form des Filmemachens, schreibt Sheldon Renan in seinem Buch „The Underground Film“ (1967), sondern ein Begriff für einen Forschergeist, der in viele verschiedene Richtungen führen könne: „Es kann so weit gehen, dass der Effekt des Films erzeugt wird, ohne Film überhaupt zu verwenden.“
Die Kunst von Sabine Aichhorn ist somit in jedem Fall großes Kino, ein dramatisches Spektakel der multiplen Perspektiven und der unerwarteten Peripetien. „Der Vorgang der Malerei bei mir ist wie eine Freundschaft oder eine Beziehung.“ sagt die Künstlerin. „Man fügt eins ums andere hinzu und man weiß am Anfang noch nicht, was es wird. Es ist ein Experiment, ein Spiel, auf das man sich einlassen muss.“
Thomas Mießgang