2022 Andreas Spiegl
Ereignisse haben den Charme sich nicht anzukündigen, sie finden statt, ereignen sich unerwartet und ohne Grund, nicht voraussagbar und keiner Wahrscheinlichkeit zu Diensten treffen sie ein und hinterlassen ihre Spuren, die sich nicht den Regeln des Alltags unterwerfen und der Überraschung so zugetan sind wie der Katastrophe. Im Leben kennen wir sie, immer wieder und doch nur als unbekannte, so ersehnt wie gefürchtet, Grund genug, die Auseinandersetzung mit dem Ereignishaften zu suchen – eine Auseinandersetzung, die Sabine Aichhorn seit Jahren sucht, in den älteren Arbeiten verbunden mit der Frage, dass auch Ereignisse ein Material benötigen, um sich zu realisieren, ein Medium, in dem sie sich vermitteln und zum Ausdruck bringen. Folgten ihre Reflektionen des Ereignishaften dem Polaroid, als fotografisches Verfahren eines Bildes, dessen Bildwerdung sich vor unseren Augen ereignet, wendet sie sich in ihren neueren Arbeiten dem Ereignis in seiner abstrakten Bedeutung zu – entkoppelt von der konkreten Ereignissen und abstrahiert von den Erfahrungen, die damit verbunden sind. Was sie in diesen neueren Arbeiten anstößt, ist es eine Vermessung des Ereignishaften. Wie funktionieren Ereignisse, unabhängig davon, welchen Tag oder welche Lebensbereiche sie gerade treffen? Was läge näher, als sich dafür der Geometrie zuzuwenden. Die Geschichte der Geometrie, der Geo-Metrie, wörtlich der Vermessung der Erde, war verbunden mit dem Versuch, die Erde, die sich jeden Tag aufs Neue als unbekannte Größe ereignete, messbar zu machen – konstante Größen herauszufinden, die Längen und Geraden, die Winkel und Abstände, ein ganzes Instrumentarium, das helfen sollte, dieses Erfahrbare aber Unbekannte zu vermessen und vergleichbar zu machen – wenn man so will, die der Unordnung immanente Ordnung herauszudestillieren, den Blick in Verhältnisse zu setzen, in abstrakte Sätze zu übersetzen, die unabhängig von der je konkreten Situation funktionieren, sich ereignen wie der Satz des Pythagoras. Die Summe der Quadrate der Katheten entspricht dem Quadrat der Hypotenuse. Das Dreieck, so einfach und doch so komplex, eine Form als geometrisches Ereignis. Aichhorn hat sich in diesen Arbeiten dem Ereignishaften so zugewandt wie dem Geometrischen. Dreiecke werden ineinander verschoben, überlagern und berühren sich, verdecken und unterbrechen sich, opak und semitransparent tanzen sie über die Bildflächen, je aufs Neue ereignet sich ein Ausloten, ein Gewichten und ein In-Gang-Setzen aus Kräften und Gegenkräften. Jedes Bild ist ein Ereignis, dem Unerwarteten so zuneigt wie der unmöglichen Voraussagbarkeit. So folgen auch die Bildwerdungen einem Prozess, der erst im Zuge ihres Entstehens das Maß dafür entwickelt, sich mit dem Ereignishaften zu messen, mit der Geometrie von Ereignissen.